Schülerinnen des AMGs trafen den Georg-Büchner-Preisträger Jan Wagner

„Gedichte sind ein Rauschmittel“

Schülerinnen des AMGs trafen den Georg-Büchner-Preisträger Jan Wagner am John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin

Wozu Dichter in dürftiger Zeit? Das wollten die zwölf jungen Frauen des Leistungskurses Deutsch von jemandem erfahren, der selbst auf prominente Weise mit Versen hervorgetreten ist. Und so trafen sie den Lyriker und Übersetzer Jan Wagner zu einem intensiven zweistündigen Gespräch über die Vieldeutigkeit seiner Dichtung, das Wechselspiel zwischen der bewussten Arbeit mit Sprache und der handwerklichen Gestaltung seiner Texte sowie über poetologische Grundsätze seines Schreibens.

Darüber hinaus eröffnete er persönliche Einblicke in seinen Tagesablauf. Briefe schreiben und Auftragsarbeiten erledigen am Morgen (wie die Rede zu Goethes Geburtstag, die er Ende August in Köln gehalten hat), Termine wahrnehmen am Nachmittag. Seinen Höhepunkt erreicht Jan Wagners Tag aber mit der eigentlichen Arbeit, dem Schreiben seiner Gedichte in den Abendstunden und während der Nacht.

Gedichte, so erklärt er, „sind ein Rauschmittel“. Andere Substanzen benötigt er nicht, um ein erfülltes Leben zu führen. Das war für die Schülerinnen zugleich das Verblüffendste: dass das Schreiben für den Lyriker von existentieller Bedeutung ist. Das lustvolle Spiel mit Sprache und das Jonglieren mit Lauten und Metaphern dient vor allem dazu, einen Zauber zu erzeugen, in dem die „Dinge versuchsweise anders zu sehen“ sind. Dichtung als Rollenspiel, in dem mögliche Wirklichkeiten nicht weniger ernst genommen werden als wirkliche Möglichkeiten.

Jan Wagner liebt es, Anekdoten zu erzählen; insbesondere solche, die Einblicke in die Ursprünge seines Schreibens vermitteln. So erzählte er von seinem inspirierenden Englischlehrer, der seine Begeisterung für die Schönheit der (poetischen) Sprache weiter vertiefte, von seiner Faszination für literarische Außenseiter, wie den ebenso originellen wie skurrilen englischen Romantiker William Blake, aber auch von seinen Eltern. Seine Mutter, eine Englisch- und Französisch-Lehrerin, die Literatur ebenso liebte wie sein Vater, ein Jurist, der – abseits aller Paragraphen – eine Dissertation über das Verbrechen bei Dostojewski schrieb.

Das Zentrum seines Dichtens bildet seine (poetische) Neugier, die ihn Verborgenes in den unscheinbarsten Dingen (einem Nagel oder einer Wassermelone z.B.) entdecken lässt. „Gedichte kann man über alles schreiben“, erklärt Jan Wagner. Und er versichert seinen staunenden Zuhörerinnen, dass gerade die „großen Themen“ im Einfachen zu finden sind: „Alle metaphysischen Fragen stecken in der Wassermelone“. In dieser demokratischen Sicht der Dinge lassen seine Gedichte die Welt in ihrer Fraglichkeit sichtbar werden und regen dazu an, die Welt auf dichtend-denkende Weise immer wieder neu zu sehen.

Wozu Dichter in Zeiten höchst komplexer (sicherheits)politischer, ökonomischer und ideologischer Herausforderungen? Die Frage konnten sich die Schülerinnen nun nach dem neunzigminütigen Gespräch auf vielfältige Weise selbst beantworten. Jan Wagner ist kein Moraltrompeter, der sich einen Reim auf die drängenden Themen der Zeit macht. Er hat es sich nicht zur Aufgabe gemacht hat, mit Gedichten den Menschen den Weg aus dem Fliegenglas (in eine Welt eigentlichen Seins) zu weisen. Vielmehr macht das Gedicht, so der Dichter in einem seiner Essays, auch in dürftiger Zeit „das Beste aus den Widersprüchlichkeiten der Welt“, indem es diese „nicht leugnet, sondern sie im Gegenteil spielerisch aufgreift, als eine Feier der Möglichkeiten und der Unmöglichkeiten“.

Text: Dr. Detlef Klein, AMG Bensberg

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