Von Haaren, Freudenhäusern und Buffet-Schlachten: Alt-Impressario Kronenberg lädt zur Lesung

All the school’s a stage – wenn auf einen Lehrer diese Variation des berühmten Shakespeare-Zitats zutrifft, dann sicherlich auf Werner Kronenberg. So war es nicht mehr als passend, dass die Lesung seiner neuesten drei Bücher am 24.10.23 auf der Bühne der AMG-Aula stattfand, war es doch auf diesen Brettern, die die Welt bedeuten, auf denen er seine ambitioniertesten Inszenierungen gestaltete. Kronenbergs Zeit am AMG war nach eigenen Worten die schönste Zeit seiner aktiven Zeit im Schuldienst, weshalb es nicht verwundert, dass er gleich zu Beginn bekannte, mit einem Gänsehautgefühl die Aula betreten zu haben.

Das Bühnenbild des Abends war der Aufführung mehr als angemessen: durch die in Halbkreisen vor einem anheimelnd beleuchteten Fauteuil positionierten Stuhlreihen wurde eine Atmosphäre gestaltet, welche die Intimität des Abends gelungen wiederspiegelte.

Im ersten Teil des Abends las Kronenberg aus Vaterstolz, ein Buch, in dem er seinem Vater ein literarisches Andenken setzt. Diese Skizze über den Vater ist immer mit dem Blick des geschulten Historikers geschrieben, der die eigene Kindheit einbindet in die soziale Wirklichkeit der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit und besonders der 68er-Bewegung. Letztere, obwohl – nach eigenem Bekunden – eigentlich zwei, drei Jahre zu spät geboren, war prägend für den jungen Kronenberg, der die Befreiung aus dem Mief der Adenauerzeit genoß und zu seinem Credo machte, inklusive der mehr als schulterlangen Haaren und der dem Establishment den Kampf ansagenden Musik. Amüsant schildert Kronenberg, wie sein eigenes rebellisches Verhalten die Einstellung des Vaters – nach anfänglicher Skepsis (was mögen die Nachbarn denken?) – modernisierte. Höhepunkt dieser Einstellungsänderung war sicherlich das Intervenieren des Vaters beim Kreiswehrersatzamt, bei dem er über das einzige existierende Telefon im Dorf erfolgreich die Wehrdienstverweigerung des Sohnes durchsetzen konnte.

Die Anekdoten, die Kronenberg im Anschluß aus Ungeschminkt und ungelogen, seinen Erinnerungen an die Theaterarbeit am AMG, zum Besten gab, sorgten im Publikum für sehr viel Erheiterung. Viele der Zuhörer waren in der Vergangenheit Teil der Kronenberg-Ensembles gewesen, so dass durch die Anekdoten zahlreiche persönliche Erinnerungen geweckt wurden. Gerade in der Rückschau sind die Dimensionen der Aufführungen (z.B. Faust, Antigone oder Die Dreigroschenoper) erstaunlich. Diese Großproduktionen erfreuten dabei nicht nur die AMG-Schulgemeinde, sondern zu den Aufführungen kamen auch immer zahlreiche Besucher, die schlicht einen gelungenen und unterhaltsamen Theaterabend genießen wollten. Die in die Aula einfahrende Harley Davidson sowie die Darstellungen des Freudenhauses von Turnbridge bei der Dreigroschenoper sind Highlights, die sich dem allgemeinen AMG-Gedächtnis für Generationen eingeprägt haben. Kronenberg betonte, dass diese Produktionen nur realisiert werden konnten, weil er vonseiten des Schulleiters Dr. Roider die nötigen Freiheiten bekam und mit Stefan Demmin (Bühnenbild), Josef Rein (Faust-Darsteller), Arndt Erdnüß (Fotos) und Ernst Wittwer (PA) vier Kollegen an seiner Seite wußte, die alle an einem Strang zogen. Mit lebensbejahender Melancholie bekannte Kronenberg, dass diese leider schon verstorbenen Kollegen ihm lediglich vorausgegangen sind – wohl wissend, dass sie nur warten müssen, bis er bei seinem letzten großen Auftritt dazustoßen wird.

Die Zahl der Kronenbergschen Theatergeschichten ist zwar sicherlich mindestens so groß wie der AMG-Theaterfundus, doch musste Werner Kronenberg sich selbst zügeln, um zum Abschluß noch aus Unter Wilden zu lesen, ein Band, in dem er seine Beobachtungen und Eindrücke einer Ende 2019 zusammen mit seiner Frau unternommenen Kreuzfahrt-Weltreise literarisch verarbeitet hat. Mit scharfem Blick und ebnsolchem Stift skizziert Unter Wilden die bunten Blüten, die der Kreuzschifftourimus im Allgemeinen und das Verhalten zahlreicher Gäste im Besonderen treibt. Die vielen beeeindruckenden geografischen und kulturellen Erlebnisse wurden so gespickt mit Berichten über Buffet-Egoisten, Fotofetischisten und allerhand andere wunderliche Touristenspezies.

Nach zwei Stunden (oder in Kronenbergs Worten: Aufführung plus Zugabe) kam so ein Leseabend zum Ende, der das Publikum bestens unterhalten hatte und gut gelaunt nach Hause entließ.

Text & Fotos: For

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